Badische Zeitung


Porträt

Wie ein Denzlinger als Kind Lokführern half und als Erwachsener sich für Bildung in Afrika einsetzte

Von Gabriele Fässler

Fr, 10. Juni 2022 um 12:10 Uhr

Denzlingen



Wolfgang Helmeth möchte mit Marionetten in Afrika Wissen vermitteln. Schon in den 1980er Jahren krempelte er das Bildungssystem der Elfenbeinküste um. Dabei begann seine Karriere auf Bahngleisen.

 

Foto: Gabriele Fässler

"Wer sich für mich interessiert, ist selber schuld." Diesen Satz sagt Wolfgang Helmeth am Ende eines zweieinhalbstündigen Gesprächs. Gesprochen hat er über seinen Werdegang, seine Vorstellungen von Bildung und vieles mehr. Gleichwohl ist die Zeit viel zu kurz für die unzähligen Geschichten, die der Denzlinger noch auf Lager hat und die an diesem Tag unerzählt bleiben müssen.

"Was mich interessierte, kam nicht dran. Was dran kam, interessierte mich nicht. Der Rest war häufig pädagogische Folter." Wolfgang Helmeth über seine Zeit in der Schule

Vieles gibt es in dem blauen Reihenendhäuschen mit dunkelroten Fensterrahmen, in dem Wolfgang Helmeth wohnt, zu entdecken. An fast jeder Wand finden sich Bilder und Gemälde – Werke seiner Frau, der Enkelkinder und des bekannten Denzlinger Künstlers Theodor Zeller. Auf den Regalen im Wohnzimmer stehen afrikanische Holzfiguren. Es gibt Mobiles, die Arbeitsszenen in afrikanischen Dörfern darstellen. Unterm Dach befindet sich das Büro des 78-Jährigen. Auf einem kleinen Sofa liegt ein Marionetten-Clochard. Mit dieser und weiteren Puppen verfolgt Wolfgang Helmeth aktuell eine Idee, von der noch die Rede sein wird.

Der Kindergarten war ihm ein Graus


Hier oben berichtet der autodidaktische Entwicklungsingenieur von seinen Anfängen. "Meine Mutter entdeckte bei mir etwas Feinmotorisches. Sie hängte mir ein Wecker-Uhrwerk in den Laufstall." So wurden die Begabung und der Fokus für Technik offenbar geweckt. "Jedes Kind hat einen natürlichen Instinkt, der dazu führt, dass die aufkeimenden Potenziale sich zu Kompetenzen bilden können", sagt der vierfache Vater und siebenfache Großvater. Der Kindergarten sei ihm ein Graus gewesen. Stattdessen fand man den Jungen auf einer nahen Baustelle, wo er mit seinem Schippchen half, bis das Haus fertiggestellt war. "Es machte mich stolz, gebraucht zu werden und nützlich sein zu können", erklärt er.


Seine Volksschulzeit bringt Helmeth auf folgenden Nenner: "Was mich interessierte, kam nicht dran. Was dran kam, interessierte mich nicht. Der Rest war häufig pädagogische Folter." Ein Beispiel für etwas, das außerhalb der Schule zu finden war und den Jungen interessierte, war ein Bahngleis im Bad-Godesberger Stadtteil Plittersdorf, auf dem eine Dampf- und Diesellok verkehrten. Mit großem Interesse beobachtete er, wie die Lokführer die Weichen stellten und dafür immer umständlich aus- und einsteigen mussten. Um ihnen das Leben zu erleichtern, legte der Pimpf selbst Hand an die Weiche und jagte den Lokführern damit einen gehörigen Schrecken ein. Doch als diese begriffen hatten, dass der Junge das Weichenstellen beherrschte und sie selbst dafür nicht mehr von der Lok steigen mussten, hatte der junge Wolfgang einen Job. Dafür gab es Kohlen – eine wertvolle Währung in der kargen Nachkriegszeit.

Über Paris und Hamburg in die Elfenbeinküste


Als Jugendlicher absolvierte Helmeth, der "so schnell wie möglich raus wollte aus der Schule", eine Ausbildung bei einem Hersteller von Reproduktionsgeräten. Später führte ihn sein Weg nach Paris, wo er Französisch lernte, als Radio- und Fernsehtechniker arbeitete und einen Politikwissenschaft-Studenten von der Elfenbeinküste kennenlernte, mit dem er sich anfreundete und der ihn in sein Heimatland einlud.

Bevor er zehn Jahre später der Einladung folgen sollte, ging es nach Hamburg ans DESY – Deutsches Elektronen- Synchrotron, ein Forschungszentrum für naturwissenschaftliche Grundlagenforschung. "Dort habe ich mich vom Elektroniktechniker zum Entwicklungsingenieur hochgespielt", erklärt Helmeth, der wie er von sich selbst sagt, nie aufgehört habe zu spielen.

Drei Jahre, nachdem er sich in Denzlingen niedergelassen hatte, bereiste er 1973 schließlich die Elfenbeinküste. Dort beobachtete er, wie Kinder im Spiel ihre Begabungen zeigten, diese aber nicht erkannt und gefördert wurden. Das Kennenlernen des ivorischen Bildungsministers sowie viele Gespräche und Überlegungen führten dazu, dass Helmeth in den späten 1980er Jahren das Bildungssystem in dem westafrikanischen so umgestalten sollte, dass die Absolventen Kompetenzen erlangen, die auf die Bedarfe des Landes zugeschnitten sind.

Spielerisch Wissen vermitteln


Parallel dazu leitete er junge Arbeitslose an, aus vorhandenem Material Spielzeug herzustellen, um einerseits für einen Lebensunterhalt zu sorgen und andererseits individuelle Potenziale zu wecken und zu fördern. Aktuell tüftelt Helmeth an der Idee, mit seinem Marionetten-Clochard und weiteren (Finger-)Puppen, Sprachen und anderes Wissen spielerisch in Afrika zu vermitteln. Wie dies geschehen könnte, dazu findet sich eine Kostprobe auf seinem Youtube-Kanal.

Darüber hinaus geben zahlreiche weitere Videos Einblicke in die Projekte, die Helmeth im Rahmen des 2001 gegründeten Denzlinger Cleverle initiiert hat.

Am Ende des Vormittags deutet Helmeth auf ein Zeller-Gemälde und sagt: "Mit diesem Bild war ich beim Papst, bei Wojtyla." Doch die Geschichte dazu muss auf einen anderen Tag verschoben werden. Das ist mindestens ein Grund, sich weiter für ihn zu interessieren.


Ressort: Denzlingen