Das Cleverle-Konzept als Ansatz für die Ganztagsschule

06.08.2010 Freiburg. Wolfgang Helmeth ermöglicht Kindern mit der Initiative Denzlinger-Cleverle im

privaten Bereich etwas Sinnvolles zu lernen. Mit ihm können die Cleverle in der „Schule des Lebens“

eigene Ideen in Projektarbeit verwirklichen. Sein Bildungskonzept zur Entfaltung einer individuellen

Persönlichkeit soll Kinder motivieren, selbstständig zu arbeiten. Helmeth knüpft stetig Kontakte zu

Schulämtern, Ministerien und Universitäten, um Netzwerkpartner für seine Arbeit zu gewinnen. Welches

Potenzial in Helmeths Ansatz steckt und was noch fehlt für ein schultaugliches Bildungskonzept,

beschreibt Patrick Blumschein im Gespräch mit Sandra Schröder. Er ist akademischer Rat am Institut für

Erziehungswissenschaft der Universität Freiburg.

staatsanzeiger.de: Warum hat Wolfgang Helmeth vor einigen Jahren Kontakt zu Ihnen

aufgenommen?

Patrick Blumschein: Er hat mir sein Cleverle-Projekt vorgestellt und erzählt, wie er das informelle –

also erfahrungsbegründete – Lernen außerhalb der Schule verwirklichen will. Helmeth ist total offen und

interessiert am Austausch mit Fachleuten. Er bat mich einen Kurzfilm über die Denzlinger-Cleverle und

exemplarische Projekte zu produzieren. Um interessierte Kooperationspartner für seine Arbeit zu

begeistern, haben meine Studierenden von Zeit zu Zeit Informationsmaterial für ihn erstellt.

Helmeths Webseite ist umfangreich und beinhaltet sehr viele Informationen über Theorie,

Praxis und einzelne Projekte. Er selbst sagt, bisher fehle eine kompakte Zusammenfassung.

Wie kamen Ihre Studierenden mit der Datenflut zurecht?

Es ist wirklich schwer an den Kern zu kommen. Die Studierenden haben ein Vierteljahr lang versucht,

sich klar zu machen, was hinter dem Konzept von Helmeth steht und was er genau will. Er ist wahnsinnig

kreativ, nach jedem Gespräch hat er eine neue Idee gehabt. Die Rolle als Ideengeber liegt ihm, aber es

scheint ihm schwer zu fallen seine Einfälle systematisch und kontinuierlich umzusetzen.

Eine Vision von Helmeth ist eines Tages das Schulsystem durch das Interkulturelle-Selbstlern-

Netz zu ersetzen. Wie beurteilen Sie sein Bildungskonzept aus erziehungswissenschaftlicher

Sicht?

Der ganzheitliche Ansatz und der Anspruch individuelle Fähigkeiten des Menschen zu fördern, sind

wunderbar. Dafür gibt es viele pädagogische Vorreiter wie Montessori oder Summerhill. Das praktische

Arbeiten an Problemen des Alltags macht Sinn und ist gehaltvoll. Es wäre gut, so etwas in die Schule zu

integrieren. Der Ansatz von Helmeth könnte die Schule ergänzen und bereichern, aber nicht ersetzen.

Den großen Anspruch, den er mit seinem Bildungskonzept hat, kann er als Einzelperson in dem Format in

dem er bisher arbeitet unmöglich realisieren.

Welche Schwierigkeiten sehen Sie?

Helmeth kann sich für eine kleine Gruppe von vielleicht einem Dutzend Kinder gut engagieren. Lokal kann

er das Konzept wunderbar umsetzen. Er schafft es allerdings kaum, Nachwuchs zu rekrutieren, der seine

Arbeit weiterführt. Dass afrikanische Austauschstudenten für einige Monate ein bisschen mitarbeiten ist

super, aber alleinehrenamtliche und zeitlich begrenzte Mitarbeit ist kein tragfähiges Konzept für die

Zukunft.

Ich glaube jede öffentliche Person im Land kennt Helmeth mittlerweile. Wenn er sich das erste Mal

vorstellt, klingt alles wahnsinnig gut und euphorisch. Ihm fehlt aber das tragende Gerüst dahinter. Bisher

ist es ihm noch nicht gelungen, Konzept auf einer höheren Ebene institutionell einzubinden.

Sie sagten Helmeths Konzept könnte die Schule ergänzen. Wo sehen Sie eine reelle

Möglichkeit?

Es gibt eine Chance für diesen Ansatz und die ist sehr eng verknüpft mit der derzeitigen Entwicklung der

Ganztagsschule, die seit ein oder zwei Jahren im Raum Freiburg im Gang ist. Diese Schulform ist für viele

Städte und Stadtteile sehr sinnvoll, weil die Schule Sozialisationsaufgaben der Familie übernehmen oder

unterstützen kann. Die praktische Arbeit von Helmeth könnte man ziemlich gut in so einem

Ganztageskonzept verankern und es weiterentwickeln.

Unter welchen Voraussetzungen ließe sich Helmeths Konzept nachhaltig in die

Ganztagesschule integrieren?

Helmeth müsste das Konzept von seiner Person lösen und die zugrundeliegende Theorie schriftlich

dokumentieren. Eine Schule braucht eine ganz konkrete Projektbeschreibung von vielleicht 50 Seiten.

Dann müsste er in einem Leitfaden schrittweise erklären, wie die Schule das Helmeth-Konzept umsetzen

kann. Wie fängt man an, was- welche Leute und wie viel Zeit braucht man dazu. Mit einer solchen

Checkliste könnte eine Schule dann nach seinem Cleverle-Prinzip arbeiten.

Nicht alle Kinder haben die gleichen Anlagen und Neigungen. Könnte das selbstständige

Arbeiten Kinder überfordern?

Lerntheoretisch ist es eine gute und total interessante Sache, dass Kinder selbstgesteuert und

eigenverantwortlich arbeiten. Sie lernen in größeren Strukturen zu denken. Kindern fällt es vielleicht

schwer abstrakt zu denken. Aber wenn man Grundschulkindern konkrete Themen gibt, können sie ganz

schön komplex denken. Durch eigene Projekte hätten sie die Chance, sich auszuleben und etwas zu

verwirklichen. Durch die Anleitung des Pädagogen kriegen sie die nötigen Informationen.

Was haben die Kinder langfristig davon?

Durch das praktische Arbeiten an Problemen erwerben sie Alltagskompetenz. Helmeth macht es vor: Die

Cleverle reparieren beispielsweise eine Klingel, oder lernen wie eine Waschmaschine funktioniert. Dazu

müssen sie Risiken abschätze, weil beispielsweise Strom fließt. Es gibt auch gerade in Städten Kinder, die

ganz wenig Kontakt zur Natur haben und gar nicht mehr wissen, wie etwa die Milch ins Regal kommt. Der

Ansatz bietet Potenzial für viele Handlungsfelder.

Helmeth spricht bei seinen Cleverlen von Lebenskünstlern. Er meint damit, dass Kinder schon

im frühkindlichen Alter üben Probleme zu lösen. Könnte sein Ansatz besonders im technischen

Bereich bessere Fachkräfte heranbilden?

Die These stütze ich. Es gibt etwa in Sankt Georgen im Schwarzwald einige Unternehmen und Betriebe,

die ganz explizit frühkindliche Bildungseinrichtungen fördern, weil sie ihren Standort und den Nachwuchs

vor Ort stärken wollen. Kinder, die eine tolle Zeit in Kindergarten und Grundschule erlebt haben und dort

angeregt wurden, entwickeln sich zu erfolgreichen Haupt- oder Realschüler. Die Wirtschaft braucht

Auszubildende und Tüftler, die neugierig und engagiert an einer Sache dran bleiben und Eigeninitiative

entwickeln.

Aber bestimmt sind nicht alle Kinder geborene Tüftler wie Helmeth. Manche brauchen

vielleicht eine stärkere Lenkung durch den Pädagogen.

Die Rolle des Erziehers wandelt sich derzeit vom Wissensvermittler zum Lernbegleiter. Wir sind weg von

der Idee der homogenen Klassen, die alle das Gleiche lernen sollen. Der Lehrende muss abwägen, wie

stark er das Geschehen bestimmt und wann er sich zurückzieht. Es ist ein schmaler Grad zwischen

Machenlassen und Steuern, sonst endet das Ganze womöglich im Chaos. Andererseits tut es Kindern

auch gut, einmal zu erleben, dass sie in einer Situation allein nicht weiter kommen und dass nicht immer

alles gleich perfekt funktioniert.

Haben Sie Neuigkeiten für Helmeth, die ihn bei der Verbreitung seines Konzepts weiterbringen

können?

Nachdem Helmeth sich bei uns vorgestellt hat, hatten wir ein Spitzengespräch mit den Referenten des

Schulpräsidenten. Ich kann bloß sagen, das Regierungspräsidium Freiburg ist offen für Helmeths Ideen

und wartet auf weitere Schritte. Es wäre schade, wenn er jetzt nicht am Ball bleibt.

Mehr zum Thema:

Zur Person: Wolfgang Helmeth

06.08.2010

www.staatsanzeiger.de